Im Temporausch.
Die Sultans of Sprint nennen Geschwindigkeit eine Religion. Mag sein, dass sie an Tempo glauben, allerdings ist die Angelegenheit alles andere als ernst. Denn an der Achtelmeile geht es nicht allein um Performance, sondern um jede Menge Spaß und Kreativität. Amelie Mooseder und Rolf Reick sind bei den vier Sprintrennen für BMW Motorrad an den Start der 2018 neu gegründeten Factory Class gegangen.
Party, scary, freaky.
Party, scary, freaky.
Der Geruch von verschmortem Gummi beißt in der Nase, der Fahrer ist für einen Moment in eine riesige Rauchschwade gehüllt. Sprintzeit ist auch Burnout-Zeit. Und es ist die Zeit der Sultans of Sprint am Racetrack der Achtelmeile. Dass sich hier Zombie, Yeti, Frankenstein, und Herkules über den Weg laufen, ist völlig normal: Sultans tragen durchgeknallte Outfits. Denn nicht nur Speed, auch Performance und Power in Form von Style, Kreativität und Verrücktheit gehören dazu. Es gibt also Punkte fürs Rennen und Punkte für kreatives Design sowie feierwütiges Verhalten – „scary factor“ und „Party Monster Bonus“. Hauptsache freaky.
Lauter Bekloppte.
Rolf Reick darf das sagen: „Die Sultans of Sprint sind eine große Familie lauter Bekloppter mit ähnlichem Gendefekt aus aller Herren Länder.“ Denn Rolf ist einer von ihnen. Einer dieser Motorradfreaks und Customizer, die aus Europa zusammenkommen, um sich und ihre Sprint Racer in fünf Rennen zu messen. Erstmals haben die Sultans of Sprint für 2018 eine Factory Class ins Leben der Rennserie gerufen, bei der Viertakter oder wassergekühlte Motoren an den Start gehen dürfen. Die Aufladung der Motoren ist frei und kann aus Turbo, Kompressor, Quickshifter oder NOS-Systemen bestehen – mit einem festgelegten Verhältnis von Leistung und Gewicht, um allen Teilnehmern ähnliche Sprint-Voraussetzungen zu bieten.
Die glückliche Katze.
Ohne ihn gäbe es die Sultans of Sprints nicht: Sébastien Lorentz (rechts) ist der Initiator der etwas anderen Rennserie.
Die glückliche Katze.
Kopf der Sultans ist der Franzose Sébastien Lorentz von der Lucky Cat Garage. Mit seinem Sprintbeemer fuhr er 2014 die Achtelmeile am Glemseck, danach initiierte er mit seiner Partnerin Laurence eine eigene Klasse – die Sultans of Sprint gingen erstmals 2016 mit Turbo, Kompressor und Lachgas an den Start. 18 Teams aus Deutschland, Schweiz, Italien, Frankreich, Belgien und Großbritannien sorgten bei vier Großveranstaltungen für Aufsehen. Und schon ein Jahr später nahmen 23 Teams an ebenfalls vier Rennen in Europa teil. Jedes Mal zieht die Gefolgschaft der Sultans mit. „Wir sind ein internationaler Wanderzirkus und ziehen von Achtelmeile zu Achtelmeile“, sagt Sébastien mit glücklicher Miene.
Teambuilding.
Für Amelie Mooseder und Rolf Reick war es sofort klar, ein Team für BMW Motorrad zu bilden und der Achtelmeile den Kampf anzusagen. Ihre Umbauten auf Basis einer R 1200 R (VTR Customs) und einer R nineT Pure (Krautmotors) sind nicht wiederzuerkennen. Die große Enthüllung ihrer Speed Racer war an den ersten Renntermin in Monza beim „The Reunion“ am Stand von BMW Motorrad Italien geknüpft. Es folgten weitere Renntermine in Spa (Bikers’ Classics), Leonberg (Glemseck 101) und St. Raphael (Dandy Riders Festival). Die einzelnen Ergebnisse und das Ranking werden hier angezeigt.
Die Fahrerin und ihr Bike
Feuer und Flamme.
Wenn sich Amelie Mooseder etwas vornimmt, dann zieht sie es auch durch. Als sie das erste Mal das Customizing Festival am Glemseck besuchte, war sie sofort Feuer und Flamme für die Achtelmeile. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los: Sie wollte selbst ein Sprintrennen fahren – den Gashahn voll aufdrehen und Gummi auf dem Asphalt hinterlassen. Seit 2016 ist die Mitarbeiterin von BMW Motorrad sozusagen Werksfahrerin der Schweizer Edelschmiede VTR Customs. Nachdem die „Sultans of Sprint“ die Wertung der Factory Class einführten, war für VTR Customs und Amelie Mooseder die Teilnahme an der neuen Sprintserie klar. Die Schweizer arbeiteten fleißig an einem neuen Rennmotorrad auf Basis einer BMW R 1200 R. Inspiriert von Danis Vergangenheit als Flugzeugmechaniker und Hobbypilot eines alten Kampfflugzeuges, war das Thema schnell gefunden. Es sollte ein komplett in Aluminium gehülltes, torpedoähnliches Monster werden, das an alte Flugzeuge erinnert.
Aller guten Dinge sind drei.
Nachdem die „Sultans of Sprint“ die Wertung der Factory Class einführten, war für VTR Customs und Amelie Mooseder sofort klar, dass die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben werden musste. Die Schweizer arbeiteten fleißig an einem neuen Rennmotorrad, das die DNA von Eddie trägt: Das neue Bike erhält den Motor der BMW R 1200 R und den Rahmen von Eddie 21. Inspiriert von Danis Vergangenheit als Flugzeugmechaniker und Hobbypilot eines alten Kampfflugzeuges, war das Thema schnell gefunden. Es sollte ein komplett in Aluminium gehülltes, torpedoähnliches Monster werden, das an alte Flugzeuge erinnert.
Spitfire – das Bike.
Die Rundinstrumente stammen aus dem Cockpit einer echten Militärmaschine. Passend dazu trägt Dani Weidmann eine Uhr aus der Sonderserie „Son of Time“ von TW Steel am Handgelenk.
Spitfire – das Bike.
Klarer Fall: Das Bike muss atemberaubend sein. Und reichlich Aufmerksamkeit auf der Achtelmeile erzeugen. Für nichts Anderes wird es gebaut. Insofern muss der Name auch volles Programm sein. „Wir wollten, dass das Bike echte Flammen aus dem Auspuffrohr spuckt, wie damals die alten Sternmotoren, wenn man sie anwirft. Was liegt da näher, als dieses Monster Spitfire zu nennen?“ Für VTR Customs war klar: Das Bike muss noch radikaler werden und Amelie muss „das Ding“ wieder fahren. „Wir nennen sie schon liebevoll Werksfahrerin. Und aus der Seelenverwandtschaft ist eine echte Freundschaft entstanden. Durch ihre natürliche Ausstrahlung hat sie einen wesentlichen Anteil an der Popularität unsere Bikes – und vor allem am Spaß, mit dem wir das als VTR Customs Race Crew tun“, erzählt Dani Weidmann.
Aus dem Cockpit einer Militärmaschine.
Der Schweizer Customizer ist sich seiner Rolle bewusst: „Spitfire wird das aufwendigste und komplexeste Bike, das wir je gebaut haben.“ Herausforderungen sind die schwierige Formgebung, um zu verhindern, dass die Linie am Ende plump wirkt, die extrem tiefe Linie (Höhe etwa 90 cm) und all die technischen Herausforderungen. „Authentizität und Details sind uns enorm wichtig.“ In diesem Geiste wurden aus England Cockpitinstrumente einer Spitfire aus dem Zweiten Weltkrieg besorgt, Flugzeug-Startschalter organisiert und weitere Details im Kopf vorgedacht. Apropos Rundinstrumente: Uhrenhersteller TW Steel sponsert das Bike und legt im Rahmen der Serie „Son of Time“ eine eigene Uhr auf. Bleibt noch ein Wort über den Motor zu verlieren – der bleibt nämlich aufgrund des „Factory Class“-Reglements der Serie treu. Allerdings: Außer dem Basismotor und der Antriebsschwinge haben die Macher von VTR Customs so ziemlich alles modifiziert und passend gemacht – der Frontrahmen wird sowohl um 20 Zentimeter verlängert als auch gekürzt. Das Steuerrohr fällt nun ebenfalls kürzer aus, sämtliche Elektronik ist neu platziert. Beim ersten Rennen in Monza belegt Amelie den dritten Platz, in der Gesamtwertung liegt sie schließlich auf Platz vier. www.vtr-customs.com
Der Fahrer und sein Bike
Nach künstlerischer Freiheit lechzen.
Ausbrechen und anecken: Rolf Reick ist in der Szene der Customizer bekannt wie der sprichwörtlich bunte Hund. Seit vielen Jahren macht er von sich Reden, schafft es immer wieder, die Aufmerksamkeit auf sich und seine Umbauten zu ziehen. Für Rolf eine klare Sache: „Jeder Designer will doch immer auch ein Revolutionär sein.“ Und er lechzt immer nach künstlerischer Freiheit. Erst 2017 eckte Rolf richtig an. Als erster Customizer überhaupt baute er einen E-Scooter um: Er verpasste dem C evolution von BMW Motorrad einen komplett neuen Look. Bei seinem Umbau setzt er besonders auf den reizvollen Kontrast, etwas Neues in altem Gewand zu zeigen: „Es geht darum, den Leuten die Berührungsängste mit Elektrofahrzeugen zu nehmen. Deswegen zeige ich ihnen, was sie schon kennen: eine Verkleidung im Old-School-Look – mit neuer Technik dahinter.“ Bei der Namensgebung war Rolf ebenfalls kreativ und hat den Elektro-Maxi-Scooter nach seiner Großmutter „E-LisaBad“ getauft.
Grob, roh und ungehobelt.
Rock ´n´ Roll, Rauch und Rolf: Mit „E-LisaBad“ hinterlässt der Customizer 2017 deutliche Spuren.
Grob, roh und ungehobelt.
Rolf ist von Hause aus gelernter Industriedesigner, genauer: ein diplomierter Produktdesigner. Bereits seit 1996 baut der 1963 geborene Tausendsassa Motorräder und Autos um und betreibt die Werkstatt Krautmotors in Heidelberg. „Mir geht’s um Lebensfreude, nicht um Lebensangst“, erklärt Rolf, der ein besonderes Augenmerk auf das Thema Design hat. Bekannt ist er übrigens für seine Kunst des Weglassens – weniger ist mehr. Beim C evolution hat er zunächst die Originalverkleidung entfernt, es ist noch sehr viel davon zu sehen, was den Scooter im Inneren zusammenhält. „Das ist ein echter Reick-Roller: grob, roh und ungehobelt.“
Das ist nicht normal.
Rolf und Krautmotors stehen immer wieder im Rampenlicht: 1996 heimste er den Preis für den schönsten Café Racer ein, und 2003 wird Rolfs BMW Bobber vom Motorradfachmagazin „Mo“ zum deutschen Custombike des Jahres gekürt. Das Geheimnis seines Erfolges liegt sicherlich darin begründet, dass Rolf mit kindlicher Neugier ausgelatschte Pfade verlässt. Er weiß: „Normal bin ich nicht. Und das ist gut so.“ In seinem Leben gibt es keinen Platz für Langeweile, denn der Motorradnarr hält außerdem seit 2003 auch als Leiter einer Privatschule für Grafikdesign, Multimedia und Modedesign die Fäden in der Hand. Von dort aus war es kein weiter Schritt zur Gründung des T-Shirt Labels Krautmotors, dessen Inhaber er seit 2005 ist.
Überraschung!
Überraschung!
Rolf wagt sich vor, betritt Neuland: Kein Wunder, dass er bei der Rennserie der Sultans of Sprint auf den Überraschungseffekt setzt. Bei jedem Sprint verändert er die Optik des Bikes – nichts soll Bestand haben. Von seiner BMW R nineT Pure hat Rolf den Tank und die Sitzbank entfernt, er fertigt seine ganz eigenen Teile an; einen Monocoque. Für jedes Wertungsrennen wird er ihn ändern, jedes Mal wird sich das Gesicht des Sprint Racers wandeln. „Ich kann den Monocoque jederzeit quick and dirty wie meine eigene Hose tauschen.“
Namen sind bloß Namen.
Startklar mit dem dritten Monocoque: Rolf und Little Go Beep gibt beim Dandy Rides Festival in St. Raphael alles.
Namen sind bloß Namen.
Die Idee für den Umbau ist in erster Linie sehr stark an die Person Rolf Reick selbst geknüpft. „Mir ist schnell etwas langweilig, also wäre es schön, den Look des Motorrades häufiger zu ändern. Macht man an sich selbst ja auch.“ So entstand die Idee mit den einfach zu wechselnden Monocoques. Um diese Idee zu realisieren, ist es für Rolf notwendig, einen geeigneten Untergrund zu schaffen. Die originale Sitzbank und der Tank der R nineT hätten zu viel aufgetragen. Das Rahmenheck ist gekürzt und das Bike insgesamt leicht tiefergelegt. „Die entstandene Form ist teilweise dem Ziel geschuldet, originale Komponenten wie Benzinpumpe und Luftfilter zu verwenden“, erzählt Rolf. Ihm ist dabei wichtig, dass auch technisch weniger versierte Fahrer den Umbau der R nineT vornehmen können. Und schließlich gibt er seinem Projekt einen Namen: „Little Go Beep“.
Der Geheimnis-Reick.
Für das erste Rennen hat sich Rolf für den Monocoque im Stil eines Dirt Trackers entschieden – diese Version bekommt einen neuen Stahltank und einen Höcker. „Beim Entwerfen sind etliche Modelle vorausgegangen“, sagt Rolf, der weder Zeit noch Mühe beim Kreativsein gescheut hat. „Blechfee“ Jochen Lehmann setzt Rolfs Entwürfe um. Der Karosseriebaumeister aus Malsch in Baden-Württemberg hat sich auf handgemachte Sonderanfertigungen spezialisiert. Auch in Sachen Lackierung gibt es das Gelbe vom Ei: Michael Schönen von Lackmuss kümmert sich um das passende Custom Painting. Zusätzlich hat Rolf Motortuning mit Hubraumerweiterung vornehmen lassen. Kopfbearbeitung, geänderte Auspuffanlage sowie die Abstimmungen auf dem Prüfstand erledigt Edelweiß Motorsport in Essen.
Hauptsache geradeaus.
Immer vorne mit dabei – und am Ende auf Platz drei der Gesamtwertung.
Hauptsache geradeaus.
Wie sich Ralf außerdem auf die Sprints vorbereite? „Na ich schaue, dass meine Motorräder schnell sind und ich genug Werkzeug dabei habe“, sagt Ralf augenzwinkernd, der für sich den Reiz der kurzen Sprints entdeckt hat. „Da ich schon älter bin, kommt die Rundstrecke nicht für mich in Frage. Ich kann mir einfach die Kurvenkombinationen nicht merken. Da kommt Geradeausfahren gerade recht.“ Bei allem Spaß erregt Rolf aber nicht nur Aufsehen. Er kämpft auf der Achtelmeile mit, schüttet Adrenalin aus. „Wer irgendwo mitbattelt, will auch ganz vorne hin. Das gilt für mich selbstverständlich auch.“ Die Rechnung geht für ihn auf: Rolf steigt bei den vier Rennterminen immer wieder aufs Siegertreppchen, am Ende landet er in der Gesamtwertung auf Platz drei. Bei allen Rennen genießt insbesondere den gemeinsamen Spaß, das gegenseitiges Verständnis und die Hilfe. Rolf weiß: Nur vom Start bis zum Ziel ist man im „Battlemodus“. „Ansonsten ist es einfach nur Urlaub an schönen Orten und Rennstrecken vor großartigem Publikum.“ Na dann, gib Gummi! www.krautmotors.de
Fotocredits: BMW Motorrad, Gannet Design, Andri Margadant/Photocab, Frank Schulte